Der einzige Ansitz zur Nachtzeit

Die Vorzeichen könnten eigentlich nicht schlechter sein: Nachtjagd ist nicht so meine Jagdzeit, Füchse stehen im Waldrevier nicht unbedingt an erster Stelle meiner Passion und Kälte ertrage ich – lächeln Sie ruhig – auch immer schlechter. Mindestens, wenn ich über längere Zeit still sitzen soll. Dennoch: Die Jagd auf Fuchs, Marderhund und Waschbär oder gar eine urig-“zottelige“ Sau in einer winterlichen Mondnacht hat ihre ganz eigene Poesie – und einmal im Jahr möchte ich es wagen.



Und so reagiert mein Frau, vom Hund ganz zu schweigen, nicht eben wenig überrascht, als ich beginne, Ansitzsack und Thermoskanne zurecht zu legen. Letztere wird mit „Spezialbrühe“ befüllt: Warm gemachte Hühnerbrühe, gekrönt von einem guten Stück Butter! Neben dem Repetierer wandert das alte 8 x 56 Fernglas seit langer Zeit wieder in den Rucksack. Taschenöfen haben ich entzündet und Fusswärmer längst in die Winterstiefel befördert (ich ahne Ihr Mienenspiel an dieser Stelle).

Heute werde ich in der Dämmerung zur so genannten „Inventur-Kanzel“ gehen. Sie verdankt ihren Namen durch ihre Lage in einem raumen Altholz und ihrer Positionierung auf der höhst gelegenen Stelle dort drin. So regiert die „Inventurkanzel“ über eine ganze forstliche Abteilung. Da lange winterliche Ansitze (s.o.) nicht auf meinem Programm zu stehen pflegen und wir, meine Mitjäger und ich, jedwede Monumental-Bauten im Revier vermeiden, verfügen wir nur über Drückjagdböcke oder niedrige, halb offene Kanzeln. Nun fällt mir dieser Umstand vor die noch warmen Füße, aber ich genieße das Sitzen schon lange, bevor sich Tages- und Mondlicht abwechseln.

Ein kleines Rotwildrudel zog, kaum dass ich meinen Posten bezogen hatte, auf unter hundert Metern vertraut durch. Wo waren die im Dezember? Hat das Leittier wieder einmal den Jagdzeiten-Kalender in der Tasche? Mitnichten: „Tante Trude“ war auch im Zuge der zweiten Drückjagd im Treiben. Zudem tauchte sie mehrfach in den Vorwochen auf. Sie hat es geschafft, über mehre Monate ihr kleines Rudel bei uns unbeschossen durchzubringen. Mir bleibt nur, ihr zu Ehren, den Hut zu ziehen, als das Rudel nach und nach ausser Sicht gerät.

Nun herrscht nur noch Mondlicht vor und der ganze Wald ist wie in Watte gepackt. Es ist absolut nichts mehr zu hören – keine Autos, kein Flugzeug, kein Windzug, nichts. Die Decke, die ich auch über die Beine gelegt habe, dient mir jetzt dazu, das Aufschrauben der Thermoskanne abzudämpfen. Wie störend dieses Geräusch nun erscheint, das im Alltag kaum wahrnehmbar ist! Oder, verehrte männliche Vertreter der Jagdzunft, kennen Sie das auch: Wie impertinent laut man(n) am Kragen kratzende Barthaare empfindet? Ganz zu schweigen vom Feuerzeug, das nun einmal in Betrieb gesetzt werden muss, will man wie ich nicht auf die die Hände „wärmende“ Zigarette verzichten. Auch dessen Anzünden findet unter der Decke statt.

Immerhin die geringe Bauhöhe meiner Reviereinrichtungen möchte ich nutzen und bediene mich meines Mäusepfeifchens. Dank niedriger Sitzposition wird Reinecke wohl nicht misstrauisch, ganz im Gegensatz zur Reizjagd auf großer Höhe. Sicherlich wäre es sinnvoll, auch die Hasenklage einzusetzen, doch die erscheint mir derartig laut, dass ich sie schon wieder als störend empfinde. Passionierte Fuchsprofis mögen hier mit den Augen rollen, aber es darf heute Nacht ein Winterfuchs sein, muss aber nicht.

Drei Stunden sitze ich nun schon und tauche immer mehr in dieses Gesamtbild des unfassbar stillen Winterwaldes bzw. dieser Mondnacht ein. Letzterer verschwindet nach und nach hinter einer stetig dickeren Wolkendecke. Ich beschließe, abzubaumen. Nicht etwa, weil mir kalt wäre, sondern weil ich mir inzwischen nicht mehr vorstellen kann, in dieses traumhafte Szenario noch „hineinzuschießen“.

Und so empfinde ich es auf dem Weg zurück zum Auto gar als Segen, dass schlussendlich weder Fuchs & Co. noch Wildsau erschien – sein Sie diesbezüglich gnädig mit mir. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass dieser Ansitz der einzige zur Nachtzeit im Jagdjahr 2018/19 war ...