Von Jagdpacht-Fallen und Inkonsequenzen

Ziel der aktuellen Forstpolitik sowie waldbauliche Strategie der allermeisten Forstverwaltungen und Privatwaldbesitzer ist ein artenreicher Mischwald. Der Wald soll seine zahlreichen Funktionen (Wasserspeicher, Lebensraum, Immissionsschutz, Sauerstoffproduzent, Lawinenschutz und so weiter) auf der Grundlage dieser naturnahen Mischwälder erfüllen. Mischwälder sind aber keine Produkte kurzer Entstehungszeiten, sondern komplizierte Systeme mit zahlreichen Vernetzungen, die in der Regel erst wachsen beziehungsweise mancherorts sogar erst entwickelt, „umgebaut“ werden müssen. 


Egal, ob bereits umgebauter Wald, noch vorhandene Monokulturen oder sich im Umbruch befindender Wald – nahezu überall ist er Lebensraum von (mindestens) Rehen sowie vielerorts von Rotwild. An anderer Stelle finden sich möglicherweise auch noch Dam- oder Gamswild, um nur zwei weitere Schalenwildarten zu nennen. Alle diese Wildarten gehören, wenngleich mit unterschiedlichen Präferenzen, zu den Pflanzenfressern – und damit stehen Bäume und ihre Bestandteile auf dem Speiseplan des Schalenwildes. Neben der Nutzung als natürliche Nahrungsquelle, kann das Verhalten des Wildes den Wald und seinen Wuchs beeinträchtigen. Dazu gehört in besonderem Maße das Fegen mit Geweih und Gehörn an Bäumen, entweder zur Entfernung des Bastes, zum Kennzeichnen des Territoriums (Rehwild) oder als Imponiergehabe (Rotwild). Dieses Verhalten kann in einem Wald zu großem Schaden führen, da die Beschädigung der so genutzten Bäume erheblich ist. 


Findet sich im Wald ein ausgewogenes Verhältnis von Wild und Bäumen, ist die Nutzung als Nahrungsquelle und das Verhalten der Tiere unproblematisch. Das Wild richtet dann auch keine „Schäden“ an. Reh, Hirsch & Co können also den Wald auf unterschiedlichste Art und Weise dem Lebensraum beeinflussen. In Maßen ist dies völlig natürlich und auch waldverträglich. Im Übermaß hingegen kann der Wald diese Einflüsse nicht mehr ausgleichen. Die Auswirkungen eines überhöhten Wildbestandes auf den Wald macht die Umsetzung des Waldumbaus nahezu unmöglich.


Derzeit befindet sich aber vielerorts zu viel Wild im Wald, die Schäden, die dadurch entstehen, sind erheblich. Neben der Störung des gesamten Ökosystems Wald, bedeuten diese Schäden außerdem auch beträchtliche wirtschaftliche Verluste. Dazu gehören dann unter anderem:


- Verlust des Zuwachses

- Verlust des Holzwertes

- Ertragsverluste


Die Vermarktung des Holzes ist aber eine, wenn nicht die elementare Aufgabe von Forstverwaltungen – insbesondere in Zeiten eines – u.a. durch das Klima und ein oft wirtschaftlich schwieriges Umfeld – belasteten Marktes. Als Gegenmaßnahmen gegen Schäden durch Wild kommt entweder der Schutz jeder einzelnen Pflanze oder der Schutz einer ganzen Fläche in Frage. In vielen Wäldern müssen derzeit aufgrund zu hoher Wilddichten Zäune als Schutz eingesetzt werden, denn die Jungpflanzen hätten sonst keine Chance zu wachsen. 

Beim Einsatz der Zäune oder Gatter werden die daraus resultierenden Folgen oft vergessen oder gar in Kauf genommen: Zunächst versiegeln Gatter den Wald. Diese Flächen sind unpassierbar und hinter der Absperrung gibt es keinen Zugriff auf Äsung. Ein erhöhter Wilddruck lastet als Folge auf den verbleibenden Flächen. Die dort entstehenden Schäden addieren sich zu den hohen Erstellungs-, Kontroll- und Unterhaltungskosten für bereits „wilddicht“ eingezäunte Flächen. Bestehen nun die Schutzvorrichtungen länger, bleiben diese irgendwann nicht mehr wilddicht. Es sind nicht nur die Verlockungen abwechslungsreicher Äsung, die das Wild an den gezäunten Flächen reizt. Bei den vielen Menschen, die in den Wald drängen, herrscht manchmal nur noch dort Ruhe, wo Zäune den Menschen abhalten – die Jäger übrigens eingeschlossen.


Wildschäden oft unterschätzt


Die Populationen waldbaulich bedeutender Wildarten (Rot-, Dam- und Rehwild) steigen seit Jahrzehnten immer mehr an. Statt weniger, bekommen wir immer mehr Wild im Wald. Die Folgen: 


- Wildschäden nehmen zu

- Die Kosten für Schadenspräventionen steigen

- Der Jagdaufwand wird größer


Es besteht daher ohne Frage oft akuter Handlungsbedarf. Aber: Wildschäden werden in ihren Auswirkungen von Waldbesitzern und Jägern oft unterschätzt! Diskussionen unter Förstern, Waldbesitzern und Jäger legen den Schluss nahe, dass – insbesondere im Privatwald – das Thema Waldwildschäden oft noch nicht angekommen ist. War es nicht früher eben dieser Personenkreis, der den eigenen Wald als Aussteuer, Sparkasse, Rücklage oder Altersversicherung definierte? Noch nicht einmal ein gesunder, kritischer Dialog findet sich hier! Daher seien folgenden mögliche Konstellationen / Fragen einmal aufgeworfen:


- Wann war der Waldbesitzer zusammen mit dem ihn betreuenden Förster im Wald, um das Thema Wildschäden zu erörtern?

- Wann waren Förster und der Jagdausübungsberechtigte einmal zu einer Begehung gemeinsam im Wald?

- Wann waren Waldbesitzer und Jagdpächter zuletzt gemeinsam zur Begehung in der Forst? 

- Wann und wie oft bieten Jagd- und Forstverbände gemeinsam (!) Seminare zum Thema Wald und Wild an?


Statt konstruktiven Dialog finden wir häufig einen gängigen Mechanismus vor, der immer öfter zu beobachten ist, wenn Schalenwild zunimmt und sich ausbreitet: Mit der Jagd 
(-verpachtung) kann man Geld verdienen, insbesondere als Grundbesitzer.


Nicht nur Grundbesitzer im kleinparzelligen Wald, sondern selbst die eine oder andere Privatforstverwaltung tappen in eine große Falle: Jagdeinnahmen durch Pachtverträge sollen Geld in die Kassen spülen. Erträge durch Jagdpachten erscheinen zu Beginn des Jagdjahres auf dem Konto. Sie sind damit messbar, machen sich buchhalterisch gut und belegen: Wir haben Einnahmen!


Die Jagdpachtfalle


Doch hier besteht ein großer Denkfehler: Haben Sie jemals die Zuwachsverluste von Pflanzungen dagegen gerechnet? Die Holzentwertung? Die Kosten für Forstschutzmaßnahmen? Die Summe aller Ertragsverluste? Wer sich einmal diese Mühe gemacht hat, kommt zu erschreckenden Zahlen.

Ammer, Vor, Knoke und Wagner addieren – trotz einer ebenso konservativen wie optimistischen Berechnung – in ihrem Werk „Der Wald-Wild-Konflikt“ die Kosten für Wildschutzzäune beispielsweise für Deutschland mit „jährlich mindestens 90 Millionen Euro“. Die Ergebnisse der Bundeswaldinventur lesen sich so: „Jährlich werden rund 11 Milliarden Bäume verbissen, nahezu jeder fünfte junge Baum (18,8 Prozent). Um Verbiss vorzubeugen, sind rund 300.000 Hektar Wald eingezäunt (etwa 2,6 Prozent). Auch die Schälung von Bäumen durch Rotwild führt zu massiven ökonomischen Schäden“. 

Ob Österreich, Schweiz, Deutschland, ja, selbst im kaum bewaldeten Dänemark, um nur einige zu nennen, gehen viele Rechnungen nicht mehr auf. Die immensen Summen, die zum Schutz der Pflanzen gegen das Wild ausgegeben werden, sind nur ein Teil der Ungleichung.

In der Praxis bedeutet das durchaus einen Konflikte zwischen Waldbesitzern und Jagdpächtern, zwischen Naturschutz-, Forst- und Jagdverbänden … Man kann eben nicht einerseits eine hohe Jagdpacht verlangen, andererseits aber verlangen, die Wilddichte bitteschön doch so regulieren, dass die Ziele moderner Forstwirtschaft und des aktuellen Waldumbaus umsetzbar sind. Dass Jäger für viel Geld beste Konditionen verlangen werden, ist aus ihrer Sicht verständlich. Aber, wie formulierte es einmal Prof. Dr. Friedrich Reimoser: „Leute, die sich ehrenamtlich engagieren und dafür auch noch viel zahlen, dann aber (…) eine Regulierung des Schalenwildes durchführen müssen, sind nur bis zu einem gewissen Grade belastbar.“ 

Genau hier geraten manche Waldbesitzer in die Jagdpachtfalle. Zudem ist nicht immer der Jagdpächter, der einen deutlich höheren Preis bezahlt als ein Mitbewerber, auch der bessere Jäger – vor allen Dingen aus Sicht des Waldes. Ein den waldbaulichen Zielsetzungen aufgeschlossener (ortsansässiger?!?) Jäger mag ruhig weniger Pacht zahlen, er „rechnet sich“ aber für die kommenden Generationen bei weitem mehr. Dies wird seitens vieler Waldbesitzer oft vergessen. 



Nicht automatisch ist der Jagdpächter, der den höchsten Pachtzins anbietet,  
auch der bessere Jäger aus Sicht des Waldes/des Waldbesitzes.



Schalenwild versus Biodiversität!

Auch wenn sicherlich verschiedene Elemente (z.B. Freizeitaktivitäten der Menschen) die Waldwildschäden zusätzlich erhöhen, so bleibt doch zunächst die Wilddichte DER Faktor, der Schäden zu Schäden werden lässt! Die Wilddichte steht keineswegs in einer langen Reihe von Ursachen erst an untergeordneter Stelle, sondern ganz oben! Hier liegt die erste Gefahr für die Jagd in der Zukunft:

Hören wir bitte auf, die Gemeinsamkeiten zwischen Waldbesitz, forstlichen Zielen (Dauerwald) und Jägern gebetsmühlenartig zu wiederholen. Fakt ist: Der zivile Jäger will jagen, der Waldbesitzer möchte Holz ernten. Der Freizeitjäger nutzt den Wald als Kulisse, für den Waldbesitzer ist die Jagd lediglich ein Element seines Umganges mit dem Eigentum. Der (Wald-)Besitz hat ökologisch und gesellschaftlich viel umfassendere Aufgaben!

Wildschäden und Ertragsverluste werden mindestens Förster und zunehmend auch laufend mehr private Waldbesitzer immer weniger hinnehmen. Noch einmal Prof. Dr. Friedrich Reimoser: „Wenn sie (Anm. des Verfassers: die Jäger) eine Aufgabe nicht mehr schaffen, könnte es so enden, dass ich Profis anstellen muss. Aber die zahlen dann nichts mehr, sondern die muss ich bezahlen. Das ist volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich eine 180-Grad-Kehrt-Wende.“

Mehr noch: Wenn die jeweiligen Jagdausübungsberechtigten nicht die Wildschäden in Feld und Wald in den Griff bekommen, wird irgendwann der Gesetzgeber reagieren müssen! Unterstützt durch verschiedene mehr oder weniger ökologische Verbände, aber später auch durch mehr Druck aus der Land- und Forstwirtschaft, werden dann wahrscheinlich Gesetze erlassen, die Jäger UND Waldbesitzer Dinge auferlegen, die diese längst hätten regeln können und müssen. 

Schon jetzt zeichnet sich ab: Die Schere ökosystemverträgliche Waldbewirtschaftung UND tatsächlich jagdliche Praxis geht bei immer höherer Belastung öffentlicher Haushalte und steigenden Holzpreisen laufend weiter auseinander! Alle Schutzmaßnahmen kosten sehr viel Geld. Dieses Geld wird vermutlich in absehbarer Zeit gestrichen, es muss gestrichen werden, handelt es sich doch dabei zumeist um Steuergelder. Oder wie formulierte es unlängst eine deutsche Politikerin: 
„Es kann nicht sein, dass einerseits 800 Millionen für einen geschädigten Wald bereitgestellt werden, aber andererseits Waldbesitzer und die Jäger ihre einfachsten Hausaufgaben nicht machen.“ In Österreich und der Schweiz dürfte diese Haltung sicherlich die gleiche sein bzw. zunehmend vertreten werden. 

Aus diesen Punkten resultiert: Die Frage der (Wald-)Wildschäden wird in Zukunft zur Achillesferse der Jagd! Mehr noch: Wenn derzeit mit zunehmender Intensität über (brennende / abgestorbene) Wälder diskutiert wird, ist es in hohem Maße wahrscheinlich, dass weder die Gesellschaft noch die Politik fürderhin hausgemachte (!) Probleme wie überhöhte Wildbestände hinnehmen werden. Wieder drohen Eingriffe in den (Privat-)Wald.




Der zivile Jäger will jagen, der Waldbesitzer möchte Holz ernten.
Der Freizeitjäger nutzt den Wald als Kulisse, für den Waldbesitzer ist er Eigentum.


Immer Wald UND Wild


Doch was tun „wir“? Viele aktuelle
 Diskussionen zwischen Waldbesitzern à la couleur und der Jägerschaft sind vom Grundsatz her falsch geführt, der häufig von gegenseitigen Vorwürfen geprägte Ringkampf dieser Nutzergruppen zielt leider viel zu kurz! 

Ein Wald ist die Summe hunderter Arten. Im Fokus vieler Jäger steht aber oft nur das Schalenwild. Dank Bemühens (Hege) und der schmalen Interessen der Jäger übervorteilen aber diese wenigen Arten ein komplettes Ökosystem, indem nur sie im Mittelpunkt stehen und/oder das System in seiner Gesamtheit, zum Beispiel durch die angesprochene Entmischung, schädigen. Wenn wir einmal den Forst-Jagd- und somit den „Mensch-Wald-Wild-Konflikt“ kurz beiseite schieben, kristallisiert sich ein ganz anderer Konflikt heraus, der beiden in Kürze vor die Füße fallen wird: Der Schalenwild versus Artenvielfalt-Konflikt!

Die Diskussion „Das Schalenwild-Wald-Problem ist ein Konflikt zwischen Nutzern“ greift also völlig zu kurz. Dazu Dr. Jürgen Goretzki, Eberswalde: „Der Wald-Wild-Konflikt ist eine überwiegend monetär ausgerichtete Erfindung des Menschen, mit der auch gleichzeitig die Multifunktionalität des Ökosystems und des Kulturgutes Wald bagatellisiert wird.“ 

Es gibt ein Biodiversitätsproblem, wenn zu viel Schalenwild den Wald dominiert! Dabei obsiegen leider die negativen Effekte, auch wenn sich Andreas Kinser, Deutsche Wildtierstiftung, im Internet unter rotwild.org bemüht, auch die Vorteile des Schalenwildes im Wald herauszustreichen: „Über Verbiss und Schäle hinausgehende Effekte wie Samentransport in Fell, Hufen und Kot oder die Bedeutung von Abfallprodukten wie Haare, Geweihe oder Kadaver haben bis heute in der Diskussion um naturnahe Forstwirtschaft oder den Erhalt unseres Naturerbes keinerlei Relevanz.“ Auch wenn Schalenwild die ein oder andere Lichtung freihält oder Kot von A nach B trägt, bleiben die negativen Effekte im Sinne des Waldes leider bei weitem dominant.

Das Biodiversitätsproblem, welches überhöhte Schalenwilddichten hervorrufen, ist mit keinem Gegenargument wegzudiskutieren!

Apropos: Alle Diskussionen, ob es nun „Wald vor Wild“ oder „Wild vor Wald“ lauten muss, sind völlig obsolet. Es ist immer „Wald UND Wild“, das muss es sein, denn auch die Schalenwildarten sind Bestandteil des Ökosystems und des Kulturgutes Wald und machen ihren Teil der Biodiversität aus! Schenken wir uns bitte zukünftig jeden Formulierungsstreit!

Vergessen wir zudem bitte eines nie: Schalenwild selber ist per se an Schäden nicht „schuld“. Es äst, schält und fegt weil es muss. Wo massive Schäden auftraten oder noch auftreten, haben diese Schäden wohlmeinende „Heger“ sowie jene Waldbesitzer und Förster, die eine Überhege zuließen, gemeinsam verursacht!